Beginenhaus

Frauen-WG im Mittelalter


von Lucia Gerber und Ursula Göggelmann

Beginen - Lebens- und Arbeitsgemeinschaft alleinstehender Frauen

Beginen lebten gemeinschaftlich mit einigen oder mehreren Frauen zusammen. Sie waren eine laienreligiöse Gemeinschaft, die keinem Orden angehörte und kein Klosterleben führte. Sie lehnten starre kirchliche Regeln ab und suchten ein persönliches Verhältnis zu Gott. Es war eine neue Form des religiösen Zusammenlebens. Zu ihren Grundregeln/Gelübde gehörte u.a.: - Leben in Bescheidenheit - "... sich durch eigener Hände Arbeit ernähren können" - Gelöbnis der Keuschheit Jede Begine konnte aus der Gemeinschaft wieder austreten, beispielsweise um zu heiraten. Jede Gruppe bestimmte selbst die Regeln des Zusammenlebens, ein eigenes Privatleben war durchaus möglich. Die Leitung lag in der Hand einer von den Frauen gewählten "Meisterin" oder "Mutter". Das Beginenwesen war in seiner geistigen, wirtschaftlichen und organisatorischen Ausprägung sehr unterschiedlich. Eine eindeutige Charakterisierung ist nicht möglich. Jeder Landstrich hatte eine eigene Ausprägung.

Die Zeit

Einzelne Beginengemeinschaften sind zuerst in Flandern bekannt, und zwar im 12. Jahrhundert. In Deutschland sind sie seit dem 13. Jahrhundert in Urkunden nachgewiesen. Blütezeit des Beginenwesens soll das 13. und 14. Jahrhundert gewesen sein.

Beginen in Reutlingen

Die Zeugnisse über Beginen in Reutlingen sind verhältnismäßig spärlich. Aber es steht fest, dass es auch in Reutlingen mehrere Beginenhäuser gegeben hat. Auch hier war die Blütezeit im 13./14. Jahrhundert. Erwähnt werden die "Hollensammlung" (1397), deren Haus in der Nähe der Marienkirche stand, aber nicht mehr genauer bekannt ist. Außerdem gab es die "Rastsammlung" (erwähnt 1346 bzw. 1351), auch "Schwestern bei den Barfüßern" genannt nach der Nähe zu dem Reutlinger Franziskaner- bzw. Barfüßer-Kloster, das von 1259-1535 im heutigen Gebäude des Friedrich-List-Gymnasiums bestand. Beginen haben oft die Nähe zu den Klöstern der Bettelorden gesucht, weil sie sich diesen Orden durch ihr Interesse an der Erneuerung der Kirche - weg von Geld und Macht, hinzu wahrer Frömmigkeit und zu den Menschen - verbunden fühlten.

Die Häuser

Die Frauen mieteten oder kauften sich Häuser, brachten teilweise auch ihren Besitz und Vermögen ein. Unter adligen Frauen fanden sich auch Förderinnen und Stifterinnen. Beginenhäuser gab es sowohl in der Stadt als auch auf dem Land (s. Kauf-/Schenkurkunden. Größere Zusammenschlüsse wurden Konvente oder Beginenhöfe genannt (besonders in Belgien und Flandern),

In unserer Gegend

Hier wurden die Häuser auch "Klösterle", "Nonnenbronn", "Nonnenhaus", "Frauenhaus" genannt. Beginenhäuser blieben in Baden-Württemberg erhalten in: Grötzingen, Neuffen, Nürtingen, Owen, Urach, Stuttgart-Bad Cannstatt, Bietigheim, Marbach, Schorndorf, Schwäbisch Hall, Tübingen. Häuser in Oferdingen und Reutlingen sind bekannt, aber nicht mehr erhalten. Um das Jahr 1500 bestanden etwa 100 Beginenhäuser im Bereich des heutigen Baden-Württemberg, z.B. Ulm 12, Stuttgart 4. In Schorndorf starb die letzte Begine 1581. In Ofterdingen muss das Beginenhaus 1564 noch vorhanden gewesen sein.

Lindenstraße 21-27. Hier stand ein Beginenhaus (Foto: Böhmler)

Das Haus, in dem die Reutlinger Beginen gemeinsam gelebt haben, befand sich in der Lindenstraße dort, wo jetzt die Häuser 21-27 stehen. Es war ein großes Gebäude, das auf der Rückseite an die Weingärtnerstraße angrenzte. Leider ist das Beginenhaus, auch "Frauenhof" oder "Frauenhäusle" genannt, beim großen Stadtbrand 1726 abgebrannt. Einzig der große gewölbte Keller ist erhalten geblieben und erstreckt sich unier den Häusern Lindenstraße 21-27. Die Häuser, die wir sehen, sind nach dem Brand gebaut worden. Ihre Bewohner mussten bis 1890 Pachtgeld an die Kirchenpflege zahlen. Das schön restaurierte Fachwerkhaus Lindenstraße 15, das oft fälschlich als Beginenhaus bezeichnet wird, ist erst im 18. Jahrhundert erbaut worden und stammt aus dem Besitz der Bürgermeister- und Pfarrersfamilie Cammerer. Das Wappen am Haus ist das Allianzwappen der Familien Cammerer und Briegel.

Tätigkeiten

Zahlreiche Beginen waren in der Kranken- und Altenpflege tätig. Sie Haben bettlägerige Menschen gepflegt und sich auch um Arme und Waisenkinder gekümmert. Krankenpflege, Seelsorge, Landwirtschaft und Mesnerdienst in der Kirche waren die Tätigkeiten der Ofterdinger Beginen. Im gewerblichen Bereich arbeiteten sie hauptsächlich in der Textilbranche. Spinnen und Weben gehörten zu den Haupttätigkeiten (bes. in Köln), auch Seidenspinnen und die Herstellung kirchlicher Gewänder. Spitzenklöppelei und Wappenstickerei war eine wichtige Fähigkeit der Beginen in Holland und Belgien. Einige Konvente unterrichteten Mädchen, hatten sogar eine eigene Schule auf ihrem Gelände (vor allem in Belgien und Holland). Einnahmequellen waren auch Pachtzinsen aus dem Besitz von Grund und Boden oder Häusern, d.h. aus eigenem Vermögen, das sie eingebracht oder durch Schenkungen erhalten hatten. Daraus wird ersichtlich, dass die Beginen eine wichtige gesellschaftliche Gruppe im Mittelalter waren. Worin die Haupttätigkeit der Reutlinger Beginen bestand, ist nicht eindeutig zu ermitteln. Es spricht jedoch vieles dafür, dass sie eher in der Kranken- und Armenpflege in einem der Reutlinger Spitäler tätig waren, als dass sie im gewerblichen Bereich gearbeitet hätten. Es gab damals ein Spital vor dem Tübinger Tor und ein Spital für "Sonder- und Feldsiechen" (d.h. ansteckend Kranke, besonders Leprakranke, und Kranke, die nicht aus der Stadt stammten) in der Nähe der heutigen Katharinenkirche. Für dieses Spital hat eine Frau Irmengart genannt Elpin 1289 eine Stiftung gemacht. Sie war eine Begine.

Beginen bei der Arbeit. Holzschnitt aus dem 15. Jahrhundert

Verfolgung/Ende der Bewegung

Die Anerkennung seitens der Kirche als religiöse Gemeinschaft ohne Ordensstatus erfolgte im 12. Jahrhundert. Kaum entfaltet sich die Bewegung, wurde sie bereits verfolgt und diskriminiert.

  • Vorwurf der Ketzerei

Die Beginen wurden durch päpstliche Erlasse, Inquisition verfolgt. Wieviele Frauen als "Ketzerinnen" verfolgt den Tod fanden, wissen wir nicht. (14./15. Jhd.) Die möglichen Gründe für die Verfolgung der Beginen sind

  • ihre Kritik an der Habgier und Sittenlosigkeit der Geistlichen,
  • sie suchten ein ganz persönliches Verhältnis zu Gott und lehnten starre kirchliche Regeln ab,
  • zudem waren sie als laienreligiöse Gemeinschaft der kirchlichen Kontrolle entzogen,
  • sie übersetzten religiöse Schriften aus dem Lateinischen in die Volkssprache, machten sie dadurch für einfache Leute verständlich und zugänglich.
  • Opfer der wirtschaftlichen Konkurrenzkämpfe

Die Zünfte sahen in den Beginen eine Konkurrenz, die die männerdominierten Zünfte nicht dulden wollten, Gesetze, Schikanen, Beschränkungen (z.B.. Anzahl der Webstühle begrenzt) machten den Frauen das Überleben schwer.

  • Die Reformation beendete die Beginenbewegung

Die Ansichten Luthers, dass Frauen ausschließlich zum Hausfrau- und Mutterdasein geschaffen sind, griffen um sich. Alleinstehende Frauen, die mit anderen geistliche und wirtschaftliche Gemeinschaften bilden wollten, konnten nicht mehr existieren. Die Konvente wurden aufgelöst, die Güter beschlagnahmt.

Wir wissen nicht genau, in welchem Zeitraum Beginen in Reutlingen gelebt und gearbeitet haben, wahrscheinlich vom 13-16. Jahrhundert. Es spricht viel für die Annahme, dass auch in Reutlingen wie anderswo die Einführung der Reformation 1524 das Ende der Beginenbewegung bedeutet hat.

Literatur, Quellen

  1. Ennen, Edith: Frauen im Mittelalter, München, 1984
  2. Gayler: Historische Denkwürdigkeiten der ehern, freien Reichsstadt, 1840, Bd.l S. 34 ff
  3. Grundmann, Herbert: Religiöse Bewegungen im Mittelalter Darmstadt 1961, Erstausgabe, 1935
  4. Hülle, W.: Die Kirchen und kirchlichen Bauten in der Geschichte der freien Reichsstadt, 1954
  5. Weinmann, Ute: Mittelalterliche Frauenbewegungen, Pfaffenweiler, 1990
  6. Wolf-Graaf, Anke: Die verborgene Geschichte der Frauenarbeit, Beltz Verlag Weinheim und Basel,1983 Wolf-Graaf, Anke: Frauenarbeit im Abseits, München, 1981
  7. Südwestpresse vom 20.01.1984: Die Klösterle der grauen Nonnen
  8. Frankfurter Rundschau vom 11.6.1988: Zu Gast bei Jungfer Symforosa
  9. Weitere ungedruckte Quellen im Stadtarchiv Reutlingen