Beginen – Religiöse Frauen-WG im Mittelalter

von Ursula Göggelmann

Entstehung der Beginenbewegung

Im Spätmittelalter gab es eine religiöse Frauenbewegung: Frauen wollten in der Nachfolge Jesu leben, in Besitzlosigkeit und im Einsatz für notleidende Menschen. Sie blieben unverheiratet und suchten ihren Platz in den Klöstern, die aber nicht alle aufnehmen konnten. So entstand im 12. Jahrhundert in Flandern die Beginenbewegung. Sie breitete sich in dreihundert Jahren über ganz West- und Mitteleuropa aus, besonders in den Städten. In Städten wie. Z. B. Köln waren die Beginen so zahlreich „wie der Sand am Meer“.

Wie lebten die Beginen?

Beginen bei der Arbeit. Holzschnitt aus dem 15. Jahrhundert

Beginen lebten als Frauengemeinschaft zusammen in einem Haus oder einem Konvent. Sie wirtschafteten gemeinsam, verzichteten auf persönlichen Besitz und ernährten sich aus eigener Arbeit. Gemeinsames Gebet und religiöse Praxis bildeten den Mittelpunkt ihres Zusammenlebens. Vom Leben im Kloster unterschieden sie sich dadurch, dass sie sich eigene Regeln gaben und ihre Meisterin selbst wählten. So waren sie unabhängig von einer männlichen Ordenshierarchie. Sie legten zwar auch die Gelübde der Armut und der Keuschheit ab, aber nicht für immer, sondern nur für die Zeit der Zugehörigkeit zum Konvent. Außerdem lebten sie nicht abgeschlossen hinter Klostermauern, sondern betätigten sich außerhalb. Im gewerblichen Bereich arbeiteten sie hauptsächlich in der Textilbranche: mit Weben, Spinnen und Spitzenklöppeln. Das führte vielerorts zu Konflikten mit Zunfthandwerkern. Ein weiterer wichtiger Arbeitsbereich der Beginen lag im Sozialbereich in der Alten- und Krankenpflege, der Sterbebegleitung und dem Bestattungswesen. Beginen unterrichteten auch Frauen und Mädchen in eigenen Schulen. Weitere Einnahmequellen waren Pachtzinsen von Grundstücken und Häusern, die sie als Stiftungen erhalten hatten.

Beginen und Amtskirche

Die Lebensform der Beginen wurde zunächst kirchlich anerkannt: 1216 von Papst Honorius IV. als Semireligiöse. Wegen ihrer kritischen Haltung gegenüber der Amtskirche wurde ihnen die Anerkennung jedoch 1311 durch das Konzil von Vienne wieder entzogen. Beginen wurden danach als Ketzerinnen verfolgt, weil sie ein persönliches Verhältnis zu Gott suchten, kirchliche Regeln und Bevormundung ablehnten und sich gegen die Verweltlichung und Habgier der Kirche wandten. Besonders verfolgt wurden Beginen, die selbständig predigend durch das Land zogen und ihre kirchenkritische Haltung im Volk verbreiteten. Viele von ihnen fanden als Ketzerinnen den Tod, z. B. Marguérite Porète in Paris im Jahr 1310.

Beginen in Reutlingen

Lindenstraße 21-27. Hier stand ein Beginenhaus (Foto: Böhmler)

Diese bedeutende religiöse Frauenbewegung hat auch in Reutlingen Fuß gefasst. Als erste Beginengemeinschaft in Reutlingen ist die Rastsammlung 1292 erstmals in einer Urkunde erwähnt. Ihr Haus stand in der Lindenstraße 21-27. Davon ist nur noch der alte gewölbte Keller erhalten. Er ist heute durch eine Glasscheibe einsehbar. Das Haus ist 1726 beim großen Stadtbrand abgebrannt und später neu aufgebaut worden. Dieser Beginenkonvent der Rastsammlung, auch „Schwestern bei den Barfüßern“ genannt (wegen der Nähe zum Barfüßerkloster, heute List-Gymnasium), war der bedeutendste und reichste in Reutlingen. Er erhielt vielfach Stiftungen und Schenkungen von BürgerInnen aus Reutlingen und Umgebung. Die Töchter bekannter Familien aus dem Rat der Stadt traten ein und brachten Vermögen mit. (Deshalb die Bezeichnung „Conventus Dominarum de Rast“, 1356). Welcher Tätigkeit die Frauen nachgegangen sind, ist nicht überliefert. Es spricht jedoch manches dafür, dass sie soziale Arbeit in der Pflege von Kranken und Alten in den Spitälern der Stadt geleistet haben. Eine enge Beziehung bestand zu dem Spital für „Sonder- und Feldsiechen“ (d.h. ansteckend Kranken, besonders Leprakranken und Kranken von außerhalb der Stadt) bei der Katharinenkapelle am Ort der heutigen Katharinenkirche. Die erste namentlich bekannte Reutlinger Begine Irmengard, genannt Elpin, hat 1289 ihren Besitz dem Leprosen-Spital geschenkt..
Eine weitere Beginen-Sammlung, Schwestern bei der Katharinenkapelle, erstmals genannt 1376, befand sich in der Nähe des Leprosen-Spitals. Das Gebäude ist nicht mehr erhalten. Auch von der Hollen-Sammlung, erstmals erwähnt 1367 und der „Frauen-Sammlung bei der Leonhardskapelle“ (1393) existieren keine Gebäude mehr. Wahrscheinlich sind auch sie dem Stadtbrand 1726 zum Opfer gefallen. Es sind jedoch mehrfach Urkunden von Stiftungen und Schenkungen an diese Beginen-Sammlungen überliefert, ebenso die Namen einzelner Beginen. Meistens werden sie als „Schwestern“ (sorores) bezeichnet. Es gab in Reutlingen auch mehrere als Beginen außerhalb eines Konvents lebende Frauen.
Die Reformation beendete zwischen ca. 1520 und 1530 die Existenz der Beginen in Reutlingen. Mit den Klöstern schaffte die Reformation auch die Lebensform der Beginen ab. Die noch in den Beginen-Konventen lebenden Frauen erhielten von der Stadt eine Altersversorgung und wurden im Siechenhaus untergebracht. So starben die Beginen in Reutlingen aus. Andernorts führten auch Auseinandersetzungen mit den Zünften zum Ende der Beginenbewegung. In Holland und Belgien existierten Beginenkonvente bis ins 19. Jahrhundert.

Neue Beginenbewegung

Heute gründen an verschiedenen Orten,. z. B. auch in Tübingen, Frauen wieder Beginenhäuser als gemeinschaftliches alternatives Wohnprojekt für Frauen. Die religiöse Orientierung steht dabei nicht mehr im Mittelpunkt, sondern die von Männern unabhängige Selbstbestimmung der Frauen.

Literatur und Quellen

Edith Ennen: Frauen im Mittelalter, München 1984.
Gayler: Historische Denkwürdigkeiten der ehemaligen freien Reichsstadt, 1840, Bd. I, S. 34ff
Herbert Grundmann: Religiöse Bewegungen im Mittelalter, Darmstadt 1961, (Erstausgabe 1935).
W. Hülle: Die Kirchen und kirchlichen Bauten in der Geschichte der freien Reichsstadt, Reutlingen 1954.
Maria Magdalene Rückert/Ulrich Müller: Die Anfänge der Hollen-Sammlung im Spiegel neuer Urkunden im Stadtarchiv Reutlingen RGB Jg. 2020, S. 109-121.
Ute Weinmann: Mittelalterliche Frauenbewegungen, Pfaffenweiler 1990.
Anke Wolf-Graaf: Die verborgene Geschichte der Frauenarbeit, Weinheim und Basel 1983.
Dies.: Frauenarbeit im Abseits, München 1981.
SWP 20. 01. 1984: Die Klösterle der grauen Nonnen.
Frankfurter Rundschau 11. 06. 1988: Zu Gast bei Jungfer Symforosa.
Reutlinger Urkundenbuch Teil I, bearbeitet von Bernhard Kreutz , Reutlingen 2019.