Frauenarbeitsschule

Firma von Weltruf


von Lucia Gerber/Elisabeth Grünwald

Das 1877 errichtete Gebäude der Frauenarbeitsschule, heute Eichendorff-Real-schule in der Konrad-Adenauer-Straße.

Im Spendhaus entstand vor 125 Jahren die erste Frauenarbeitsschule Deutschlands. Sie war Vorbild bei der Gründung weiterer Frauenarbeitsschulen und über Deutschland hinaus bekannt.

Das Spendhaus war seit dem 16. Jahrhundert ein zentraler Zweckbau der Stadt Reutlingen: zuerst als Zeughaus für militärische Zwecke, dann - als Magazin für landwirtschaftliche Produkte - diente es sozialen Aufgaben, und im 19. Jh. wurde es Ausbildungsstätte für die bedeutende Reutlinger Textilindustrie.

Textilindustrie ist in Reutlingen neben der Weberei damals die Frauenindustrie. Die "Reutlinger Artikel" werden in "Arbeitslokalen" in Heimarbeit gestrickt, gestickt, gehäkelt, geknüpft, geklöppelt und in alle Welt exportiert. Damit trugen Frauen und Mädchen in der 2. Hälfte des 19. Jh., zur Zeit des industriellen Aufschwungs, zur Existenzgrundlage der Familien bei. Die Reutlinger Kaufleute erzielten einen Umsatz von mehreren Millionen. Um diesen zu erhalten und der auswärtigen Konkurrenz standzuhalten, suchten sie Wege, um das technische und modische Niveau der Handarbeiten zu erhöhen. Mit dieser Absicht wurde in Zusammenarbeit von Staat und Stadt mit Unterstützung der Centralstelle für Handel und Gewerbe unter Steinbeis die gewerbliche Bildung gefördert. In den 50er Jahren entstand eine moderne Webschule, In den 60er und 70er Jahren wurde eine Schule für weibliche Handarbeiten eingerichtet, die "Industriezeichenschule für erwachsene Mädchen".

Im Spendhaus stehen nun neben Webstühlen und Dampfmaschinen auch die neuesten Nähmaschinen, eine Rundstrickmaschine, eine Goffriermaschine, eine Tambouriermaschine. Die Arbeiterinnen sollen optimal, d.h. technisch, dann auch künstlerisch und kaufmännisch ausgebildet werden. Von Anfang werden gleichzeitig auch Lehrerinnen ausgebildet, um kontinuierlich die notwendigen Fachkräfte auszubilden und die eigene Konzeption der gewerblichen Frauenbildung zu entwickeln.

Nähmaschine (19. Jh.)

Die Schule wächst in einem atemberaubenden Tempo. Vor 1868 arbeiteten neun Schülerinnen in einem Zeichenatelier der Webschule. Diese kleine Gruppe hatte 1868 zwei große Erfolge: - eine Ausstellung an Ostern vor den Reutlinger Honoratiorinnen, vor der Stadtöffentlichkeit; - den 3. Platz bei einer Ausstellung des Lette-Vereins in Berlin auf dem Viktoria-Basar (Der Lette-Verein war ein bürgerlicher Verein zur Förderung der Berufstätigkeit des weiblichen Geschlechts). Die FAS bestand auch vor der bundesweiten Öffentlichkeit. Im Juli 1870 wurden der Schule zwei große Arbeitsräume, das ganze obere Stockwerk des Spendhauses zur Verfügung gestellt. Jetzt gab es. Ausbildungsplätze für 80-100 Schülerinnen.

Vom 1. Juli 1870 bis zum 1. Januar 1877 besuchten 2895 Schülerinnen die Schule; im Jahre 1875 waren es z.B. 800. Es sind Töchter von Gewerbetreibenden, Kaufleuten und Fabrikanten, Pfarrer- und Lehrerstöchter, Töchter von Beamten und Landwirten, Die Schülerinnen kamen hauptsächlich aus den gehobenen Ständen. Arbeiterinnen konnten sich einen längeren Lohnausfall aufgrund der Dauer der Ausbildung nicht leisten oder das Schulgeld nicht aufbringen. Ab 1904 konnten sie die neu eingerichteten Abendkurse besuchen. Die meisten Schülerinnen waren zwischen 16 und 18 Jahre alt. Sie kamen aus anderen deutschen Bundesstaaten und sogar aus dem Ausland, aus der Schweiz, Italien, Ungarn und den USA.

Die Schülerinnen zahlten Schulgeld. Es war vorauszuzahlen und betrug vierteljährlich:

  1. Allgemeines artistisches Zeichnen und Malen: 5 Mark
  2. Vorträge über Geschichte und Literatur je nach Beteiligung: 1-2 Mark
  3. Fachkurs des Gestricks nebst Fachzeichnen und Buchführung: 15 Mark
  4. Für Benützung der Strickmaschine pro Woche: 2 Mark
  5. Handnähen, Maschinennähen, Kleidermachen und Stricken nebst Fachzeichnen und Buchführung: je 20 Mark
  6. Turn-, Tanz- und Anstandsunterricht: 10 Mark
  7. Miete einer Nähmaschine: 9 Mark
  8. Benützung der Tambouriermaschine pro Woche: 2 Mark
  9. Putzmachen: 2 Mark
  10. Bügeln: 3 Mark

(Programm der Schule § 7)

Die Fächer Maschinennähen und Kleidermachen wurden am häufigsten besucht. Die Frequenz in gewerblicher Buchführung war 1872 so groß, dass sogar 2 Abteilungen eingerichtet werden mussten. Gleichzeitig wurden wissenschaftliche Vorträge, Tanz- und Anstandsunterricht angeboten. Die ursprünglich eindeutige gewerbliche Orientierung der Schule veränderte sich. Zusätzlicher Schwerpunkt wurde die Vorbereitung der jungen Mädchen und Frauen auf ihren "weiblichen Beruf" im Haushalt der eigenen Familie. Deutlich wird dies in der Namensgebung. Die Schule heißt seit 1870 nicht mehr Industriezeichenschule, sondern Frauenarbeitsschule, Seither können die mehrschichtigen Ziele der Schule so zusammengefasst werden:

1. Ausbildung der Frauen für die "weibliche Industrie", d.h. Textilindustrie und -gewerbe, Heimarbeit 2. Ausbildung der Frauen für den "hauswirtschaftlichen Beruf", d.h. die perfekte Haushaltsführung 3. Ausbildung von Lehrerinnen für Lehranstalten gleicher Art und Industrieschulen.

Eine Besonderheit der Frauenarbeitsschule entstand. Sie bildete alle Frauen aus, in ein- und denselben Kursen; Frauen, die für den Haushalt und die für den Erwerb lernten. Eine offene und gleichzeitig integrative Schule? Die erste Lehrerin war Eugenie Bihler. Die erste Schulvorsteherin Bertha Bantlin. Mathilde Zeller war langjährige Vorsitzende des Damenkomitees.

1877 bauten Stadt Reutlingen und Staat Württemberg der Frauenarbeitsschule ein neues funktionales und repräsentatives Gebäude außerhalb der Stadt (heute: Das Gebäude der Eichendorff-Realschule in der Konrad-Adenauer-Straße). Lina Morgenstern nennt es "ein Polytechnikum für das weibliche Geschlecht". Es gibt Zeichensäle, Maschinenräume, Säle für Vorführungen und Ausstellungen, eine Aula für Vorträge, einen Turnsaal und eine Küche.

Die Schule qualifizierte Frauen als Lehrerinnen, als Facharbeiterinnen, Designerinnen und selbständige Näherinnen, als Mitarbeiterinnen im Geschäft des Vaters oder Ehemannes und für die Haushaltsführung, Neue Wege zur Berufstätigkeit von Frauen wurden eröffnet. Doch das bürgerliche Frauenideal der Ehefrau, Hausfrau und Mutter sollte nicht in Frage gestellt werden. "Wir glauben nicht, dass die Frage der Frauenarbeit gelöst werden kann, ohne sie in organischer Verbindung mit der Hauswirtschaft und mit der Ehe zu erhalten" (Festrede zur Einweihung des neuen Gebäudes der Frauenarbeitsschule in Reutlingen 1877).

Filetarbeit

Der textile Schwerpunkt der Schule wurde 1920 um den hauswirtschaftlichen erweitert. 1920 entsteht wie in vielen anderen Orten eine städtische Haushaltungsschule, um (v.a. für Mädchen aus dem ländlichen Bereich) neue Berufsperspektiven anzubieten und die Vorbereitung auf die Rolle als Hausfrau und Mutter für alle jungen Mädchen zu garantieren. In der Zeit des Dritten Reiches verlagert sich - von oben bestimmt - das Schwergewicht im Unterricht der Frauenarbeitsschule von der qualifizierten Ausbildung für einen gewerblichen Beruf auf die Vermittlung notwendiger Kenntnisse über Haushalt und weibliche Handarbeiten für Familien oder Großhaushalte sowie für Anlerntätigkeiten in Handwerk und Industrie. In Erlassen und Verordnungen lässt sich von Anfang an die Tendenz zur Ideologisierung beobachten. In den Jahren 1940 bis 1944 wurden die drei Zweige der Ausbildung: in der Frauenarbeitsschule, der Haushaltungsschule und der hauswirtschaftlichen Berufsschule verwaltungsmäßig vereinheitlicht. In der Kriegszeit wird das Spendhaus wieder Schulgebäude, da das Gebäude der FAS wie im ersten Weltkrieg als Lazarett genutzt wird. Nach dem Krieg wird das Angebot der Frauenarbeitsschule noch einmal breit genutzt, bis die industrielle Entwicklung die "weiblichen Handarbeiten" und die "häuslichen Tätigkeiten" aus dem Ausbildungsangebot strich: zugunsten allgemeinbildender wissenschaftlicher Inhalte.

Das 125-jährige Jubiläum der Schule 1994 verband mit der Wahl des Schulnamens traditionelle und moderne Emanzipationsideale. Laura Schradin, als erste Frau im Gemeinderat der Stadt Reutlingen, kämpfte als Sozialdemokratin für Frauenrechte und Pazifismus, weil Menschenwürde und Liebe zu den Menschen für sie die höchsten Werte waren: Der Name Laura-Schradin-Schule steht für den Weg, durch berufliche Bildung und Persönlichkeitsbildung Emanzipation zu verwirklichen.

Stickerei (19. Jh.)

Literatur/Quellen

  1. Alle Fotos zur Frauenarbeitsschule wurden von Hubert Franzke, Lehrer an der Laura-Schradin-Schule fotografiert.
  2. M.Z.: Die Frauenarbeitsschule in Reutlingen. Ihre Entstehung und Wirksamkeit, Reutlingen, 1873
  3. Bantlin, Bertha: (?), Unsere Frauenarbeitsschule. In: Nach der Arbeit. Festschrift zur Eröffnung des neuen Schulgebäudes des Frauenarbeitsschule in Reutlingen. Hrsg. von F.u.Z., Reutlingen, 1877
  4. Festrede zur Einweihung des neuen Gebäudes der Frauenarbeitsschule in Reutlingen 1877. In: Zur Erinnerung an die Einweihung des neuen Gebäudes der Frauenarbeitsschule in Reutlingen am 17.1.1877, Reutlingen, 1877
  5. Gerhard, Ute: Unerhört, Hamburg, 1990
  6. Morgenstern, Lina: Die Frauen des 19. Jhs., Bd. 2, Berlin, 1889
  7. Schlüter, Anne: Neue Hüte - alte Hüte?, Düsseldorf, 1987